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Liebe, Mythen und der Mond Russ Etheridge spricht über seinen neuen 3D-Kurzfilm „Armstrong“.

Als sich der freiberufliche Animationsregisseur und -designer Russ Etheridge mit seiner Ehefrau Ayndrilla Singharay zusammenschloss, um einen fantastischen Film frei nach einem Hindu-Mythos zu drehen, war nicht geplant, dass sich der Produktionszeitplan mit der Geburt ihres ersten Kindes überschneiden würde. Aber nicht alles ist eben planbar, und wenn sie heute zurückblicken, können sie es kaum glauben, dass sie Armstrong, einen zehnminütigen 2D-/3D-Kurzfilm über Liebe und Stärke und was geschieht, wenn plötzlich der Mond verschwindet, fertigstellen konnten.

Mithilfe von Cinema 4D, Photoshop, After Effects und Octane arbeitete Etheridge fast ein Jahr lang an dem Film, an dem Singharay mit dem Drehbuch und der Produktion beteiligt war. Pläne zur Aufführung von Armstrong auf Festivals im Jahr 2020 wurden durch das Coronavirus zunichte gemacht, sodass er seine Premiere stattdessen am 15. Mai auf „Short of the Week“ feierte.

Wir haben Etheridge, der fast ein Jahrzehnt lang in der Motion-Graphics-Branche Großbritanniens gearbeitet hat, darum gebeten, den Prozess der Produktion seines fesselnden, magischen Films zu erläutern. Das hat er erzählt:

Etheridge: Ich befasse mich seit der weiterführenden Schule mit Animation. Damals habe ich mit meinen Freunden Spiele entwickelt. Ich hatte also schon sehr früh ein umfangreiches technisches Wissen. Ich habe einen Abschluss in digitaler Kunst, was damals total angesagt war, aber im Rückblick wünschte ich, ich hätte mehr Animationskurse belegt. Einer meiner Tutoren hatte einen Abschluss des Royal College of Art und empfahl mir, dort einen zweijährigen Master-Studiengang zum Thema Animation zu belegen. Ich hatte nicht damit gerechnet, angenommen zu werden, aber es hat geklappt. Alles war aufgrund der Qualität der dort produzierten Animationen überaus spannend.

Alle Kursteilnehmer waren sehr talentiert und gingen in die Branche. Ich hatte also schon direkt nach der Uni jede Menge Kontakte, die mir halfen, an Freiberufler-Aufträge zu kommen. Aber das war 2008, und als die Finanzkrise zuschlug, gab es keine Arbeit mehr. Es war schwer, aber schließlich bekam ich einen Job bei MPC und arbeitete dort für bekannte Marken an der Motion-Graphics-Entwicklung. Das war eine großartige Erfahrung, bei der aber auch viel Druck aufgebaut wurde.

Mel, die Heldin des Films, ist in ihren Arbeitskollegen Ludo verliebt und bestückt ihren Garten mit Objekten, die ihm nachempfunden sind. ... Ludo wird mit seinen Chips in den Abfluss gezogen.

Ich hatte in und um London einige andere Jobs, wollte mich aber eigentlich lieber mit Animation befassen und bekam eine Stelle bei Animade, eine Firma, die einige Freunde von der Universität gegründet hatten. Diese Arbeit war sehr erfüllend und es gab dort jede Menge kreative Energie. Nach drei Jahren wollten meine Frau und ich nicht mehr in einer Großstadt leben, daher zogen wir nach Brighton, eine schöne Küstenstadt südlich von London. Seitdem arbeite ich freiberuflich.

Etheridge: Während meiner Zeit am Royal College of Art habe ich einen Film gedreht, mit dem ich nicht zufrieden war. Meine Frau war Autorin, daher arbeiteten wir gemeinsam an der Story und erhielten finanzielle Unterstützung vom British Film Institute. Zu dieser Zeit war sie schwanger und wir dachten, es wäre gar kein Problem, mit dem Baby zu Hause am Film zu arbeiten, aber da hatten wir uns getäuscht. Unser neugeborenes Kind nahm uns voll und ganz in Anspruch. Kaum zu glauben, dass wir das wirklich mal geglaubt haben.

Etheridge: Wir haben Monate mit der Entwicklung der Story verbracht. Meine Frau war dabei die Hauptautorin. Ich habe ihr einem kurzen Abriss der Storygegeben und ihr gesagt, dass die Atmosphäre in etwa an die indische Fernsehserie Mahabharat, die in den 80er Jahren gedreht wurde und die wir beide mochten, erinnern sollte. In dieser abgefahrenen Serie gibt es Götter, die ihre Macht nutzen, um Gutes zu tun. Das wollte ich irgendwie einfangen. Im Film sollte es nicht zu sehr um Hinduismus gehen, aber es gibt einen Mythos, in dem es darum geht, dass der Mond gestohlen wird – der gefällt uns. Wir dachten, es wäre cool, eine Geschichte über Menschen auf der Erde zu schreiben, die das Verschwinden des Mondes und die Auswirkungen auf ihre Leben, die Schwerkraft usw. miterleben.

Ayndrilla arbeitete damals für eine Frauen-Wohltätigkeitsorganisation und wollte, dass der Film den Gedanken des Frauen-Empowerments transportierte. Wir entschieden, dass Mel, die Heldin des Films, die Welt retten würde, aber auch in einen Arbeitskollegen namens Ludo verliebt ist. Die Story sollte eigentlich keine Romanze beinhalten, aber je weiter sich die Erzählung entwickelte, desto besser gefiel uns die Idee. Ludo bemerkt Mel gar nicht wirklich und isst ständig Chips – er ist nämlich von einem meiner Freunde inspiriert, der ebenfalls Chips mag. Als der Mond verschwindet, beginnt die Welt zu zerfallen, und Mel hat die Stärke, alles wieder ins Lot zu bringen.

Etheridge: Ich mag das Einfache und wurde stark von den Illustratoren bei Animade beeinflusst, die meistens in 2D arbeiteten. In meinen eigenen Arbeiten konzentriere ich mich immer mehr auf einfache Charaktere und Formen. In Armstrong besteht alles aus simplen geometrischen Formen. Ich habe viele 2D-Designprinzipien eingesetzt, wollte aber die finale Animation in 3D gestalten, um die Beleuchtung besser steuern zu können und der vom Mondlicht erleuchteten Welt Vielfalt und Tiefe zu verleihen.

Der riesige Adler in diesem ungenutzten Stil-Frame kommt im fertigen Film nicht vor. ... Ein frühes Konzept, das eine schwankende Welt zeigt, in der Briefe aus dem Briefkasten fliegen.

Bei Animade gab es eine Designerin, die mir ihren Prozess erklärt hat, der daraus bestand, in Photoshop eine zufällige Form zu zeichnen und diese dann in einen Charakter zu verwandeln. Dieser völlig freie Ansatz gefällt mir. Darum habe ich angefangen, Skizzen zu zeichnen und dann mit After Effects 2D-Designelemente hinzuzufügen, was zu meinem Standardverfahren in Cinema 4D wurde. Ich habe die Charaktermodelle von Grund auf in C4D entwickelt. Das war gar nicht so einfach, da sie großenteils zweidimensional sind, aber in einer 3D-Umgebung natürlich wirken mussten.

Der Animationsstil ist einfach, aber für digitales 3D recht unkonventionell. Ich habe schrittbasierte Frames eingesetzt, damit sich die Animationen mehr nach Stop-Motion und einer Kombination aus 2s und 4s anfühlen. „2s“ bzw. „4s“ bedeutet, dass sich die Charaktere jeden zweiten bzw. jeden vierten Frame bewegen.

Das Video dazu findest Du hier.

Außerdem musste das Design der Beine, Arme und Gelenke überaus präzise sein, da die Knie beim Beugen der Beine sehr spitz werden. Das ist mit herkömmlichen Charakterbindungen recht schwierig zu bewerkstelligen. Unter allem befindet sich ein Knochen- und Gelenkmodell, aber darüber gibt es nur Splines und NURBS. Mir gefällt der handgemachte Look des Films, wenn es überhaupt möglich ist, eine digitale Arbeit handgemacht erscheinen zu lassen, indem alles etwas roh und ungenau gestaltet wird.

Etheridge: Ich hatte recht positive Reaktionen von einigen Festivals erhalten, an die ich den fertigen Film geschickt hatte. Aber alle Sommerfestivals wurden aufgrund des Virus verschoben und abgesagt. Anstatt auf unbestimmte Zeit zu warten, entschieden wir, den Film online zu veröffentlichen und darauf zu hoffen, ihn auf Festivals präsentieren zu können, wenn die Einschränkungen schließlich aufgehoben werden.

Etheridge: Es gab auf jeden Fall positive Reaktionen von Kunden – sogar vor der Veröffentlichung des Films. Ich übernehme jetzt etwas mehr Design- und Regiearbeiten, aber am liebsten sorge ich dafür, dass sich Charaktere bewegen. Ich habe einige andere Pläne in Arbeit und muss mich zudem um den kleinen Ray kümmern. Wir werden also sehen, wie sich meine Karriere von hier aus entwickelt. Im Moment bin ich jedenfalls froh, dass ich die Möglichkeit hatte, viel Zeit in ein ambitioniertes persönliches Projekt investieren zu können, und freue mich auf neue Herausforderungen.


Credits:
Regisseur: Russ Etheridge
Autoren: Ayndrilla Singharay & Russ Etheridge
Producer: Ayndrilla Singharay & Russ Etheridge
Sound & Musik: Mutant Jukebox


Author

Meleah MaynardFreie Autorin/Redakteurin – Minneapolis, Minnesota