Das Coronavirus mithilfe von 3D verstehen Medizinische Illustratoren erklären, wie sie sich Kunst und Wissenschaft zunutze machen, um eine noch nie dagewesene globale Bedrohung zu veranschaulichen.
Medizinische Illustratoren arbeiten täglich daran, die neuesten Forschungsergebnisse in visuelle Darstellungen für Laien, Lehrer, Mediziner, Pharmazeuten und Wissenschaftler zu übertragen. Durch die Bilder, die sie anfertigen, werden schwer verständliche biologische Prozesse greifbarer. Und im Fall des Coronavirus (SARS-CoV-2), das etwa 1.000 Mal kleiner ist als ein menschliches Haar breit, haben sich medizinische Illustratoren auf der ganzen Welt der Herausforderung gestellt, zu zeigen, wie das Virus aussieht und auf den menschlichen Körper wirkt.
Medizinische Illustratoren, die regelmäßig Forschungsarbeiten studieren und Daten analysieren müssen, lassen bei der Visualisierung solch komplexer Dinge auch sehr viel künstlerische Freiheit walten. Nicholas Woolridge, außerordentlicher Professor an der University of Toronto Mississauga, hat kürzlich mit Cinema 4D 3D-Animationen und Standbilder des SARS-CoV-2-Virus erstellt, der COVID-19 verursacht. Beide können kostenlos verwendet werden und für sie gilt eine Creative Commons Attribution-NoDerivatives 4.0 International License.
Woolridge, der früher lange Zeit Leiter des Studiengangs Master of Science in Biomedical Communications am Institute of Medical Science der University of Toronto war, beschäftigt sich mit der Erstellung visueller Medien für die biomedizinische Forschung, Lehre und Patientenbetreuung. An der University of Toronto Mississauga gibt es den einzigen Studiengang für medizinische Illustration in Kanada. Im Herbst wird Woolridge Graduiertenkurse in organischer Modellierung und Filmdesign anbieten.
Gegenwärtig befindet er sich im Forschungsurlaub. Er hat sich der Herausforderung von 3D-Visualisierungsprojekten gestellt und ist sehr besorgt wegen des Virus, das ihn sehr interessiert. „Ich war froh, dass die Wissenschaftler innerhalb eines Monats, nachdem das Virus allgemein bekannt geworden war, einige der wichtigsten Moleküle identifiziert hatten, aus denen sich die Struktur des Virus zusammensetzt“, erinnert er sich. Mit dem Ziel, etwas Komplexeres zu entwickeln, verwendete er Protein-Strukturdaten für SARS-CoV und SARS-CoV-2, um sowohl interessante als auch ansprechende Visualisierungen zu erstellen.
„Die allgemeine Anordnung der Proteine basierte auf wissenschaftlichen Artikeln, aber Einzelheiten über die Zusammensetzung des Virusinneren sind nach wie vor unklar, sodass ich anhand der vorliegenden Erkenntnisse nach bestem Wissen und Gewissen Vermutungen angestellt habe“, erklärt er. Wie andere medizinische Illustratoren, die C4D, Maya und andere 3D-Software verwenden, benutzte Woolridge das ePMV-Plugin, um Ressourcen aus der RCSB-Proteindatenbank in Cinema 4D zu importieren. „Es handelt sich um ein membrangebundenes Virus. Deshalb habe ich Lipide aus einer Lipid-Doppelschicht isoliert und sie als kleine, einzelne Elemente in Cinema 4D importiert. Mit MoGraph-Tools habe ich Zehntausende von ihnen repliziert, um das Membranmodell zu erstellen“, erklärt er weiter.
Woolridge hätte seine Arbeit einfach als privates Projekt betrachten können, aber er wollte die Animationen und Illustrationen gerne für jedermann zugänglich und kostenlos nutzbar machen. Deshalb sprach er mit anderen Fakultätsmitgliedern und stellte fest, dass viele Studenten des Studiengangs sowie Ehemalige ebenfalls virusbezogene Arbeiten erstellen wollten. Inzwischen stehen die visuellen Ressourcen Wissenschaftlern und Gesundheitsfachkräften auf der Medienressourcenseite des Programms für biomedizinische Kommunikation zur Verfügung.
„Es war wirklich interessant und ermutigend zu sehen, wie die Illustratorengemeinschaft in diesem beispiellosen Moment an Dynamik gewonnen hat“, sagt er. „Unsere Aufgabe besteht darin, Sachverhalte zu veranschaulichen, die andernfalls selbst für Wissenschaftler sehr schwer verständlich wären, die medizinische Illustrationen als Denkanstöße verwenden. Es gibt so viel, was wir nicht wissen. Wenn Visualisierungen dazu beitragen können, dass die Menschen neue Fragen stellen oder ihr Verhalten ändern, leisten wir einen kleinen Beitrag“.
Medizinische Animationen kinematografisch aufwerten
Das preisgekrönte Studio für medizinische Animationen MadMicrobe arbeitet in erster Linie mit Marketingagenturen für das Gesundheitswesen und pharmazeutischen Unternehmen zusammen, um Animationen zu erstellen, die den Verlauf von Krankheiten oder die Wirkung bestimmter Medikamente im Körper zeigen. Als jedoch das Coronavirus eine einzigartige Gelegenheit darstellte, um eine ungewöhnliche, ansteckende Krankheit zu veranschaulichen, begann das Studio darüber nachzudenken, wie dies kunstvoll zu bewerkstelligen sei. „Im Fernsehen und im Internet wurde immer wieder dasselbe Bildmaterial gezeigt. Deshalb wollten wir das Thema in einen eher kinematografischen Bereich verlagern, wie wir es bei all unseren Arbeiten versuchen“, sagt Joel Dubin, Mitbegründer und Kreativdirektor von MadMicrobe.
In Absprache mit der wissenschaftlichen Leiterin des Studios, Veronica Falconieri Hays, einer zertifizierten medizinischen Illustratorin, haben Dubin und Andy Lefton, der federführende 3D-Künstler von MadMicrobe, mit Cinema 4D zwei verschiedene Visualisierungen des Coronavirus erstellt. Dubin entschied sich dafür, sich auf genaue Darstellungen der Proteine, aus denen das Virus besteht, und seiner internen RNS-Struktur zu konzentrieren. Dabei verwendete er Daten aus der RCSB-Proteindatenbank sowie Ressourcen, die in einem ständig aktualisierten Google-Dokument für medizinische Illustratoren veröffentlicht werden die an SARS-CoV-2-Projekten arbeiten. „Selbst, wenn wir all diese Daten verwenden, bleibt ein gewisses Maß an Stilisierung. Denn als Künstler bewegen wir uns an der Grenze zwischen Genauigkeit und künstlerischer Interpretation der Informationen, die wir verarbeiten“ sagt Dubin.
Falconieri Hays hat ihm und Lefton mikroskopische Aufnahmen des Virus gezeigt. Dabei zeigte sich, dass das Virus nicht so rund und glatt ist, wie es in den Medien oft dargestellt wird. „Das Virus hat eine sehr organische und unregelmäßige Form, weshalb ich versucht habe, dies zu erfassen und die Größe der Spike-Proteine zumindest einigermaßen genau zu bestimmen, da sie auch nicht gleichmäßig verteilt sind“, sagt Dubin. Er begann mit einer Kugel in C4D, importierte die Spike-Proteine mit ePMV aus der Proteindatenbank und habe sie per Zufallseffekt auf die Virusoberfläche geklont. „Um die gewünschte Oberfläche zu erhalten, habe ich in Arnold eine interessante Funktion verwendet, die es mir ermöglicht hat, mit Hilfe eines MoGraph-Matrixobjekts einen Scheitelpunkt auf jedem Polygon des Modells zu platzieren und dann im Moment des Renderings Phospholipidkugeln zu erzeugen. Die Kugeln wurden in Bezug auf Größe, Position und Farbgebung voneinander abgesetzt, wodurch eine zusätzliche Unregelmäßigkeit entstand.
Lefton verfolgte bei seiner Coronavirus-Illustration einen stilisierteren Ansatz. Er begann mit einer Kugel in Cinema 4D und verwendete X-Partikel-Spuren, die daraus herauswuchsen. Anschließend verwendete er ein Spline-Mesher, um die beiden zusammenzuführen. „Viele Einzelheiten stammen von der Darstellung von Haaren in Redshift. Ich habe sie verwendet, um die Oberfläche aufzulockern und ihr ein membranartiges Erscheinungsbild zu verleihen“ erläutert er. Lefton beschreibt diese in Redshift gerenderte und mit After Effects und Photoshop farblich angepasste Visualisierung als „liebevoll erstellte Arbeit“ und abweichende Darstellung des Virus.
„Stilistisch gesehen wirkt das Virus chaotisch, und das wollte ich darstellen", sagt er. Er ergänzt, dass er das Virus absichtlich in einer Art und Weise veranschaulicht hat, die das bedrohliche Gefühl und die bedrohliche Präsenz des Virus einfängt und zugleich einen kinematografischen Eindruck vermittelt. „Die Zusammenarbeit mit Veronica hat mir sehr geholfen, mich mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Virus vertraut zu machen und die Bedeutung und das Verhältnis der einzelnen beteiligten Elemente zu verstehen“, ergänzt er.
Visualisierung des Coronavirus
Falconieri Hays fungiert zwar häufig als wissenschaftliche Beraterin für andere medizinische Illustratoren, ist aber auch die Leiterin von Falconieri Visuals, einem wissenschaftlich und medizinisch ausgerichteten Illustrations- und Animationsstudio in Maryland. Sie verwendet Cinema 4D, um für ihre Kunden aus Forschung, Biotechnologie und Pharmazie Inhalte aus dem mikroskopischen Bereich und Nanobereich zu visualisieren. Sie verfügt über einzigartige Kompetenzen, da sie nach ihrem Studium der medizinischen Illustration eine Zeit lang in einem Forschungslabor gearbeitet hat, in dem die 3D-Formen von Molekülen untersucht wurden. „Ich habe dort tiefergehende wissenschaftliche Kenntnisse erworben, die mir sehr helfen, wenn ich selbst versuche, etwas zu visualisieren oder anderen dabei zu helfen“, erklärt sie.
In letzter Zeit hat sie mit Kollegen des Verbandes medizinischer Illustratoren zusammengearbeitet, um Aspekte des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu erforschen und für Gesundheitsfachkräfte und die Öffentlichkeit zu visualisieren. Im März hat sie ihre eigene Illustration der Spike-Proteine auf der Außenseite des Virus fertiggestellt, um zu verdeutlichen, wie sich das Virus anlagert und wie es infiziert. Die Spike-Proteine dieses Virus unterscheiden sich ein wenig von anderen SARS-Viren. Dadurch ist es gegebenenfalls möglich zu erklären, warum sich das Virus dermaßen verbreitet.
Seitdem sie ihre Illustration auf Twitter veröffentlicht hat, hat sie viele positive Rückmeldungen von Kollegen und Wissenschaftlern erhalten – auch ein paar private Nachrichten. „Einige Wissenschaftler haben mir sogar eine Nachricht geschickt, um mir mitzuteilen, dass die Illustration hilfreich war. Das hat mich sehr gefreut“, sagt sie.